Die einzig wahre Liebe

Ich habe mir erst kürzlich sagen lassen, dass ich die einzig wahre Liebe – nämlich die zu eigenen Kinder – nie erleben werde. «Ohne Kinder wirst du nie erfahren, was wahre Liebe ist.» Ich frage mich; kann man Liebe vergleichen? Empfindet sie nicht jeder Mensch anders?

Zuerst: Ich verstehe, dass die Liebe zum eigenen Kind enorm ist, will das niemandem absprechen. Man hat das Kind schliesslich selbst «produziert», es ist ein kleines Wunder. Und – im besten Fall – ist es aus einer liebenden Partnerschaft entstanden. Und diese Elternliebe macht ja rein biologisch absolut Sinn, da ganz viele Hormone bei einer Schwangerschaft und Geburt mitmischen (z.B. Endorphine - natürliche Schmerzmittel oder Oxytocin - das «Kuschelhormon» aka Glücks- und Bindungshormon).

Wie eine Mutter mir mal mit einem Schmunzeln sagte: «Wenn da die Biologie nicht eingreifen würde, würden wohl die meisten Eltern ihre Kinder nach den ersten Nächten erwürgen».

Verliebt ist nicht gleich Liebe

Ich wage einen Vergleich (wenn wir schon beim Vergleichen sind). Wenn man sich verliebt, sind ebenfalls ein Haufen Hormone im Spiel, gerade in der Pubertät. Erinnert ihr euch noch an eure allererste Liebe? Ich, als wäre es gestern gewesen. 

Ich war ca. 13 Jahre alt und habe mich Hals über Kopf in einen zwei Jahre älteren Mitschüler verliebt. Mein Magen bestand aus einer Horde hyperaktiver Schmetterlinge, ich funktionierte kaum noch, konnte nur noch an ihn denken. Meine Tagebucheinträge von damals sind heute eine schmerzhafte Lektüre 😉 Alles war aufregend: zufällige Knieberührungen, das erste Händchenhalten, der erste Kuss … Aber – es lief auch viel falsch in dieser Beziehung. Darauf möchte ich nicht näher eingehen. Er hat mich verletzt – bis zum heutigen Tag spüre ich dies. Ich habe es erduldet, weil ich ihn so unheimlich liebte. Irgendwann trennte ich mich von ihm. Darüber bin ich sehr froh.

Als ich meinen jetzigen Partner kennenlernte, war ich auch verliebt. Aber es war nicht ansatzweise so intensiv. Heisst das jetzt, dass ich ihn weniger liebe als meinen ersten Schwarm? Wir sind seit fast 16 Jahren zusammen und glücklich – trotz einiger Stolpersteine. Ich würde sogar sagen, die Liebe zu ihm ist grösser als die zu meiner Schulliebe. Das war vor allem Verliebtheit; eine biochemische Reaktion in einem Teenager-Hirn. Heftig, ja, aber nicht nachhaltig. Übrigens; ein wichtiges Hormon, das bei Verliebtheit mitspielt, ist ebenfalls Oxytocin.

Was ist echte Liebe?

Ich frage also nochmals: Gibt es die eine wahre Liebe? Ist die Liebe, die ein Mensch seinem Partner oder seiner Partnerin gegenüber empfindet, nicht echt? Kann ein Mensch seine Katze nicht richtig lieben? Eine Katze ist auch ein Lebewesen. Was ist mit der Liebe, die man z. B. seinen Geschwistern gegenüber spürt? Ist die nicht ebenso gross? Und wer kann darüber urteilen?

Ist Liebe nicht ein sehr individuelles Empfinden?

Manche lieben stürmisch und leidenschaftlich, manche sanft und zurückhaltend, manche Menschen sind eifersüchtig, manche leben in offenen Beziehungen, manche haben vier Hunde, die sie mehr lieben als sich selbst, manche Frauen lieben Männer, manche Frauen, manchen ist das Geschlecht piepegal, manche Menschen lieben einen Gott… Und ja, viele Menschen lieben ihre Kinder. Aber ist diese Form der Liebe grösser oder echter als all die anderen?

Nein, ich werde nie erfahren, wie es ist ein Kind zu lieben. Ich werde noch einige Gefühle auf dem menschlichen Spektrum nie selbst erleben. Das ist ok. Ich erlebe das, was ich kann. So, wie ich es kann. 

Verloren in der Liebe

Eine Freundin sagte mir, dass die Liebe zu ihrem Kind alles veränderte. Sie habe gemerkt, was Priorität hat in ihrem Leben und vieles, was früher wichtig war, sei es nun nicht mehr. Wenn ich ehrlich bin, macht mir das eher Angst, als dass es mich wehmütig stimmt. Ich mag mein Leben, wie es ist. Und wenn es nicht mehr passt, habe ich die Flexibilität alles zu ändern, meine Prioritäten im Leben anzupassen.

Eine so starke Liebe mag schön sein, aber verliert man sich nicht selbst darin? Gerade wenn die Liebe an ein Lebewesen gerichtet ist, das zudem noch so extrem abhängig ist von einem.

Eine berechtigte Frage in diesem Zusammenhang ist ausserdem: Geht’s denn allen Eltern so? Ich befürchte, dass dem nicht so ist. Aber diejenigen, die es nicht so stark empfinden, trauen sich wohl kaum, damit an die Öffentlichkeit zu treten, gerade Mütter. Noch stigmatisierter als eine Frau ohne Kinder sind Mütter, deren Mutterliebe nicht bedingungslos ist.

Aber auf Mamablogs oder in Artikeln über Mutterschaft sprechen Mamas (und Papas natürlich) heute vermehrt offen darüber, dass die Liebe zum Kind eben nicht automatisch da und GROSS ist. Mütter, die sich ein schlechtes Gewissen machen, weil sie das Gefühl haben, sie müssten ihr Kind doch mehr lieben, Mütter mit postnatalen Depressionen...

Mein Appell: Lieben wir doch alle so wie wir können und wollen und vergleichen nicht ständig. Liebe ist etwas Wunderschönes und sollte nicht Konkurrenzdenken ausgesetzt werden. Das machen wir schon mit genug anderem in unserer heilen kapitalistischen Welt…


Wie seht ihr das? Habt ihr auch das Gefühl, dass es grössere oder kleinere Liebe gibt?

 
Nadine

Seit 2019 bewusst kinderfrei und zufrieden mit der Entscheidung.

Zurück
Zurück

Auszug aus einer Contra-Liste

Weiter
Weiter

Bereue ich irgendwann, keine Kinder zu haben?