Auszug aus einer Contra-Liste

Die Geschichte von Samira

Dass ich (momentan) keinen Kinderwunsch habe, war zu Beginn mehr ein Bauchgefühl, vielleicht auch die Panik davor welche zu haben. Während meinem Weg haben sich für mich folgende Gründe herauskristallisiert, die gegen eigene Kinder sprechen.

Grund 1: Ich sorge mich immer und ständig

Als mein Bruder auf Reisen war und anstatt in einem Hotelzimmer am Strand geschlafen hat, habe ich mich die ganze Nacht im Bett gewälzt. Krank vor Sorge um ihn. In einem Mindfullness-Kurs habe ich gelernt, dass man sich fragen sollte „Was wäre das Schlimmste das passieren könnte?“, wenn eine Situation Stress auslöst. Und dabei gemerkt, dass dies vielleicht nicht die richtige Strategie für mich ist. Denn glaube mir, mir fällt vieles dazu ein. Ob es realistisch ist oder nicht. Ich sorge mich, ständig und um alle die mir nahe stehen.

Wenn ein Muttermal komisch aussieht, dann denke ich, ich habe Krebs. Wenn ich Kopfweh habe, dann habe ich entweder zu wenig getrunken oder einen Hirntumor. Dazwischen gibt es nichts. Ich bin beinahe nie beim Arzt, weil ich weiss, dass es mein Kopf ist, der sich das zusammen spinnt. Und trotzdem drehen sich meine Gedanken immer und immer wieder. Was könnte passieren? Wie kann ich das verhindern?

Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte mit jedem Menschen, den ich lieben gelernt habe, mein Herz Stück für Stück auf der Welt verteilt. Und ersticke am Versuch, diese nun zu schützen. Der reine Gedanken ein Kind zu haben, mein Fleisch und Blut, eine Liebe zu verspüren, die man sich nicht vorstellen kann, versetzt mich in Panik.

Wie leben Menschen mit ihrem Herzen ganz und gar in ein so kleines, verletzliches Wesen hineingelegt, da draussen in der dunklen, gefährlichen Welt?

Im Wissen, dass egal was sie tun, sie dieses Wesen doch nie vor allem beschützen werden können? Zu wissen, dass sie zerbrechen werden, falls diesem Wesen etwas zustossen würde? Wie schlafen diese Menschen, die sich Eltern nennen? Wie verabschieden sie sich am Morgen? Vor der ersten Party? Vor dem ersten Urlaub alleine? Wie atmen sie? Mit dem Wissen, dass diese Liebe das alles Wert ist?

Grund 2: Diese Welt

Als ich etwa zehn, elf Jahre alt war, hatte ich ein Telefonat meiner Mutter mitbekommen. Wie sie ihrer Freundin gesagt hatte, dass sie sich manchmal fragt, ob es fair war, Kinder in eine solche Welt zu setzen. Ich habe die besten Eltern die es gibt und nie hinterfagt ob sie mich liebten oder ich gewollt war, auch in diesem Moment nicht. Aber dieser Gedanke ist mir im Verlauf meines Lebens immer wieder begegnet.

Ist es fair Kinder in diese Welt zu setzen?

Darauf habe ich verschiedene Antworten gefunden. Dinge wie: „Setzt Kinder in die Welt, welche diese zu einem besseren Ort machen.“ Aber ist das nicht ein bisschen viel Gewicht auf so kleinen Schultern? Natürlich möchte ich diese Welt zu einem besseren Ort machen, aber tue ich das wirklich (bedeutend)? Und wenn nein; wer bin ich dann, eben dies von potenziellen Kindern zu erwarten?

Grund 3: Ich bin eine erfüllte Person, mit einem erfüllten Leben und einer erfüllten Partnerschaft, auch ohne Kinder

Gerade für eine Frau, leider auch heute noch, heisst es vielfach: „Familie oder Karriere, up to you“. Über was ist, wenn ich beides will, könnte ich beinahe eben so viel philosophieren, aber dies ist jetzt nicht das Thema. Denn was ist, wenn ich keines von beidem will?

Vielfach habe ich das Gefühl, keinen Kinderwunsch zu haben, habe nur seine Berechtigung, wenn ich dafür Karriere mache. So nach dem Motto:

Wenn du schon nichts zum Weiterbestand der Menschheit beiträgst, dann wenigstens zum Bruttoinlandprodukt.

So als ob das Leben an sich aus einer Leere bestehe, die man mit Sinn füllen muss. Dem Sinn Kinder gross zu ziehen oder sich jobtechnisch zu verwirklichen. Aber was ist, wenn ich das nicht will? Was ist wenn ich mir reiche? Mit meinem mittelständischen Job? In meiner gewollt kinderlosen Beziehung?

Wenn ich in die Zukunft schaue dann möchte ich so vieles. Mit meinem Partner in der Küche stehen und tanzen, während das Pastawasser zu sieden beginnt. Ein Atelier, in dem ich Basteln und kreativ sein kann. Am liebsten mit Blick auf einen Garten. Tomaten ziehen, die auch tatsächlich überleben bis ich sie ernten kann. Jeden Winter mindestens einmal Eislaufen. Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Eine Fensterbank auf der ich Lesen kann und ein Regal voller Bücher. Grillabende im Sommer mit Freunden. Hühner und zwei Katzen.

Und das ist genug. So viel mehr als nur genug.

Ich weiss, dass Menschen sich ändern, das Leben sich ändert. Zum jetzigen Zeitpunkt haben sowohl ich, als auch mein Partner kein Kinderwunsch. Sich in diesem Thema einig zu sein ist ein Privileg, dass weiss ich. Ich kann nicht garantieren, dass sich dies nicht nochmal ändern wird. Und ich weiss auch, dass es keine Selbstverständlichkeit ist Kinder zu bekommen, wenn man das möchte. Alles was ich tun kann, ist aktiv auf mich und meine Bedürfnisse zu hören und den Austausch in der Beziehung dazu aufrecht zu erhalten.

Denn ich möchte kein Leben führen wie ‘man das so macht’, sondern wie es sich für mich richtig anfühlt.

Samira

27 Jahre alt, Pflanzen-Mami, Lismi-Grosi und Listenliebhaberin. Arbeitet in einem internationalen Industrieunternehmen im Verkaufsinnendienst. Wohnhaft in der Zürcher Agglomeration.

 
Gastautor*in

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