Unter welchen Umständen hätte ich ein Kind?

Die Geburtenrate ist auf einem enorm tiefen Niveau, das macht viele nervös. Es stellt unsere Gesellschaft vor Herausforderungen. Wie wird es mit der Rente weitergehen? Wie gehen wir mit dem Fachkräftemangel um? Viele hätten gerne, wenn’s einfach mehr Babies geben würde und fragen; was braucht’s denn, damit sich wieder mehr Menschen für Kinder entscheiden?

Das habe ich mich auch gefragt. Was würde mich denn überzeugen, Kinder zu kriegen? Welche Argumente würden ziehen? Was müsste sich gesellschaftlich ändern, dass ich Mutterschaft in Erwägung ziehen würde? Daher starte ich hier eine hypothetische Verhandlung mit mir selber…

Disclaimer: Wie schon in vielen Artikeln klar geschrieben, habe ich keine Kinder, schlicht und einfach, weil ich keine will. Daher ist dies eine wirklich absolut hypothetische Verhandlung! Aber, ich bin auch froh, dass ich keine Mutter sein muss. Auch bin ich nicht der Meinung, dass weniger Menschen partout schlecht sind (Zu wenig Babies?)

Politik

Also zuerst müsste Schwangerschaft keine Strafe sein - beruflich zum Beispiel. Die Möglichkeit schwanger zu werden, darf nicht wie ein Damoklesschwert über dem Kopf jeder 25 bis 38 jährigen Frau schweben. Das könnte man lösen, indem Elternzeit eingeführt wird, die Mutter UND Vater verpflichtet gleich lange dem Job fernbleiben zu müssen. (Und bevor jetzt das Argument mit dem Militär kommt; ja, ich finde, dass auch Frauen in den in der Schweiz obligatorischen Dienst müssten, dieser aber von Grund auf (!!) neu gedacht werden müsste).

Der Vaterschaftsurlaub darf nicht freiwillig und frei wählbar sein. Beginnt die Geburt - zägg - Vater muss zu Hause bleiben.

Nicht: “Ach ich nehm meinen Vaterschaftsurlaub wenn der kleine Kevin bizli grösser ist, weisch im Sommer dann”. Nein, sofort und ohne Vorwarnung. Die Mutter kann auch nicht wählen. Und wenn die Frau wegen Beschwerden vorher schon liegen muss, dann muss auch der Mann freigestellt werden. Schliesslich muss er ihr zur Seite stehen zu Hause. Das wäre nicht nur gut für die Mütter, sondern auch für die Kinder. Dutzende Studien haben schon herausgefunden, dass die Vater-Kind-Beziehung stärker ist, wenn viel Zeit zusammen verbracht wird (Lesetipp: “Mythos Mutterinstinkt” von von Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner).

Kinderbetreuung muss vereinfacht werden. Es kann nicht sein, dass es so schwer ist, Krippenplätze zu bekommen, die dann auch noch sackteuer und unflexibel sind (z.B. fixe Bring- und Abholzeiten, vorgegebene Ferien etc.). Zudem sollte es normal sein, dass Kinder fremdbetreut werden, man/frau darf nicht geshamed werden, weil das Kind in die Kita geht. Ich bin überzeugt, dass es Kindern gut tut, nicht nur immer von Mama und Papa umgeben zu sein!

Auch finanziell ist Kinderkriegen nicht grad attraktiv… Schlussendlich kostet ein Kind knapp eine halbe Million - und das schliesst die indirekten Kosten (Lohnausfall, weniger Rente…) gar nicht erst mit ein. Das muss man sich schon mal leisten können und wollen. Wie wärs mit dem bedingungslosen Grundeinkommen? Das würde so ziemlich alle Probleme lösen ;-) - gerne empfehle ich hier das Buch “Utopien für Realisten” von Rutger Bregmann!

Wirtschaft & Gesellschaft

Auch in der Privatwirtschaft müsste ein Kulturwandel stattfinden. Teilzeitarbeit sollte auch bei Männern einfach normal sein. Damit es eben nicht automatisch die Frau ist, die weniger arbeitet. Jobsharing auch in hohen Positionen die Regel, nicht die Ausnahme! Es geht nicht darum, dass das schön ausformuliert im “Über uns” Teil der Website steht, fürs Employer Branding. Ich spreche von echtem Kulturwandel. Denn nur mit echt gemeinsam geteilter Elternschaft und Berufstätigkeit kann Gleichberechtigung gelebt werden, ohne dass ein Elternteil Nachteile hat (z.B. Gender Pay oder Pension Gap). Das würde auch dazu führen, dass mehr Mütter arbeiten gehen - was die Probleme des Fachkräftemangels und der Rente entschärfen würde.

Apropos Kulturwandel… Gesellschaftlich müsste sich für mich viel ändern. Diese riesigen Erwartungen an Mütter und Väter sind doch schlicht unrealistisch! Normalisiert, dass Eltern nicht perfekt sind, dass sich nicht alles um die Kinder drehen muss, dass Eltern auch Menschen mit persönlichen Bedürfnissen sind. Was mich am allermeisten abschreckt am Muttersein ist das Gefühl, dass ich meine Bedürfnisse zu mindestens 90% denen meines Kindes unterordnen muss. Ich verstehe, dass die Kindheit eine wichtige Zeit in der Entwicklung eines Menschen ist - aber ich glaube (ja ich weiss, damit mache ich mir jetzt wohl keine Freunde), wir haben uns in den letzten Jahren zu sehr in Richtung Verhätschelung entwickelt.

Fazit

Jetzt ein Kind zu bekommen, würde für mich bedeuten, dass ich Nachteile in Karriere, Lohn und Pension akzeptieren und ich meine Bedürfnisse hintenanstellen müsste. Und dass ich die enorm hohe Erwartungen der Gesellschaft an Mütter erfüllen müsste.

Ich bin aufgewachsen im Selbstverständnis, dass ich alles machen kann, alles haben kann, wenn ich denn will. Aber mittlerweile ist mir bewusst, dass ich glücklich werden kann, wenn ich versuche, alles zu haben. Ich kann nicht ich selbst und gleichzeitig Mutter sein. Auch wenn all meine utopischen Forderungen in diesem Artikel auf einen Schlag erfüllt werden würden.

Aber wenn es mehr Kinder geben soll auf der Welt, dann muss sich kulturell einiges ändern. Denn jetzt, wo wir Menschen die Wahl haben, entscheiden wir uns anscheinend immer häufiger gegen Kinder. Oder wir akzeptieren das einfach und versuchen unser System anzupassen an der neuen Realität. Die Umwelt wird’s uns danken.

Was wären Argumente, die ihr gelten lassen würdet? Was müsste sich ändern, damit Mutter-/oder Vaterschaft attraktiver wäre für euch?.

 
Nadine

Seit 2019 bewusst kinderfrei und zufrieden mit der Entscheidung.

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