Alleine altern

Hat man keine Kinder, ist man im Alter allein. Das ist eines der Hauptargumente für eigene Kinder, das ich oft höre. Dabei frage ich mich: Kann man denn automatisch davon ausgehen, dass sich die Kinder um einen kümmern können und vor allem WOLLEN? Ist das die Aufgabe von Kindern? 

Die Erwartung, dass ich als Kind im Alter verantwortlich bin für meine Eltern, finde ich überwältigend. Ich bin der Meinung, dass man auch als Eltern sein Leben auf mehrere Säulen stützen muss. Nicht nur auf seine Kinder. Als kinderfreie Person ist mir absolut bewusst, wie wichtig ein gutes Umfeld ist. Es gibt keine Kinder, die «einfach da sind», die immer am Sonntagabend auf den Znacht kommen.

Es gibt mindestens 438’394 andere Möglichkeiten, seine Sonntage oder seinen Lebensabend zu gestalten.

Was brauche ich persönlich? Welches Umfeld? Wie gross oder klein soll dieses sein? Wie gut kann ich mit mir selbst sein?

Schlechte Enkelin

Beim Schreiben eines Artikels übers Altern, denkt man automatisch an seine Grosseltern. Ich persönlich bin eine schlechte Enkeltochter. Das ist mir sehr bewusst. Ich besuche meine Grosseltern selten. Woran liegt es? Ich weiss es nicht genau. Ein schlechtes Gewissen habe ich so oder so. Meine Grosseltern sind ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich man alt werden kann: 

Meine Grosseltern auf der einen Seite verlassen sich praktisch zu 100 % auf ihre Familie. Sie haben so gut wie keine Freunde, die sie besuchen kommen. Nur ihre Kinder und Enkel*innen. Warum sie sich für diesen Weg entschieden haben, weiss ich nicht.

Meine Grossmutter auf der anderen Seite lebt im Alter ganz anders. Sie ist seit dem Tod ihres Mannes vor über 20 Jahren bemüht darum, ihre Freundschaften zu pflegen. Hat im Alter noch Autofahren gelernt, damit sie mobil bleibt. Sie ist in ihrem Dorf bekannt wie ein bunter Hund. Sie hat Freund*innen, die mit ihr Jassen und Cremeschnitten (oder «Eiter-Riemen», wie sie die Kalorienbomben liebevoll nennt) essen. Unterschiedlicher könnten die Leben meiner beiden Grosseltern nicht sein.

Vielfältiges Umfeld

Meine Eltern sehe und höre ich regelmässig (hoffe, sie sehen das auch so 😉). Das will ich auch weiterhin. Aber ich möchte nicht verantwortlich sein für ihre «Unterhaltung». Ich möchte nicht, dass meine Eltern einsam sind, wenn ich nicht zu Besuch komme. Einige Leser*innen unterstellen mir mit dieser Aussage womöglich Egoismus. Aber es geht mir nicht nur um mein eigenes Wohl, sondern auch um ihres. Es ist doch schön, verschiedene Menschen im Umfeld zu haben, mit denen man unterschiedliche Themen bespricht, verschiedene Aktivitäten unternimmt etc.

Mein Partner ist für mich gute Gesellschaft. Aber er ist ein einziger Mensch. Und so sehr ich ihn liebe, ich möchte ihn nicht ständig um mich haben. Er soll auch nicht verantwortlich für meine Unterhaltung sein – genauso wenig wie ich für seine.

Ein vielfältiges Umfeld brauche ich jetzt genauso, wie ich es im Alter brauche.

Alleinsein ist nicht gleich schlecht

Zudem; Alleinsein ist sehr negativ konnotiert. Dabei kann allein sein auch sehr wohltuend sein. Ich bin ein sehr geselliger Mensch, bin aber auch sehr gerne für mich. Wenn ich allein bin, kann ich auftanken, meinen Gedanken zuhören … Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist Musik hören. Und zwar laut und für mich allein. Das kann ich stundenlang machen. Dabei gehe ich spazieren, mache Sport, koche etwas Feines, lese ein Buch oder tanze durch die Wohnung. Das ist meine Art der Selbstfürsorge und dabei bin ich komplett allein. 

Zu diesem Thema lese ich aktuell das Buch «Die Freiheit, allein zu sein» von Sarah Diehl. Sie hat übrigens auch das wunderbare Buch «Die Uhr, die nicht tickt» geschrieben - eine dicke, fette Empfehlung hier! Ich kann allerdings noch keine Empfehlung abgeben für ihr neustes Buch, da ich noch in den ersten Kapiteln stecke.

Nie allein mit Kindern

Was ich von Eltern immer wieder höre; dass sie das Alleinsein manchmal vermissen. Kinder sind schliesslich immer da. Sie müssen umsorgt, unterhalten, gefüttert und geputzt werden. Sie müssen in den Sport- und Musikunterricht gefahren und beim Ufzgi machen unterstützt werden. Da gibt’s wenig Raum fürs Alleinsein. Man hört nicht umsonst immer wieder die Anekdote, dass man als Eltern nicht mal allein aufs Klo kann.

Vielleicht gewöhnt man sich auch an dieses Nicht-Alleinsein, wenn man Kinder hat. Schürt viellleicht daher die Angst, dass man ohne Kinder im Alter allein ist? Wer weiss… Vielleicht kommt’s auch von früher – bis vor nicht allzu langer Zeit waren Kinder schlussendlich die Altersvorsorge. Da gab’s noch keine Spitex, keine Altersheime und auch keine AHV, Pensionskasse, 3. Säule etc. (auf das Thema «Und wer zahlt jetzt deine AHV?» gehe ich ein anderes Mal ein!). 

So sehe ich mich im Alter

Nein, ich habe keine Angst, allein zu sein im Alter. Ich sehe mich in geselligen Runden mit Freund*innen, in denen wir den Weinkeller leer trinken, Bingo spielen und über die Nachbar*innen lästern. Ich sehe mich auf Reisen, auch noch die letzten Flecken unserer schönen Erde entdeckend (vielleicht in etwas bizli grösserem als unser VW Bus 😉). Ich sehe mich allein im Garten sitzen, mit einer Tasse Kaffee, Musik hörend, der Sonne entgegen schauend, auf dem Schoss eine schnurrende Katze. 

Ich sehe mich allein sein und Gesellschaft geniessend. Hoffentlich durch und durch zufrieden. Und nein, ich sage nicht, dass man das mit Kindern nicht machen kann. Nur, dass es auch ohne geht. 

Update 15. März 2024: Im Artikel “Wer kümmert sich um mich, wenn ich alt bin” gehen wir noch vertiefter in den Pflegeaspekt ein. Schau doch mal rein!

Habt ihr Angst davor, im Alter allein zu sein, weil ihr keine Kinder habt? Oder wie seht ihr die Thematik «Alleinsein und Einsamkeit» in diesem Zusammenhang? 

 
Nadine

Seit 2019 bewusst kinderfrei und zufrieden mit der Entscheidung.

Zurück
Zurück

Wer Kinder haben will, sollte dafür gute Gründe haben

Weiter
Weiter

Ich bin keine zukünftige Mutter mehr