Nach der Geburt verschwand der Kinderwunsch
Die Geschichte von Sonja
Irgendwo unbeachtet in einer Ecke liegend, fristeten meine Babypuppen eher ein trauriges Dasein. Viel lieber tauchte ich in meine Bücherwelt ein oder malte den ganzen Tag Sonnenuntergänge. Das Spielen mit jüngeren Geschwistern empfand ich als langweilig, wenig herausfordernd. Als etwas später so manche Freundin ihr Taschengeld mit Babysitten aufbesserte, empfand ich vor allem Mitleid: So viel Langeweile für so wenig Geld? Nie im Leben! Dennoch gab es sie. Die Momente, in denen Kinder mein Herz zum Schmelzen brachten, und ich mich fragte: Fühlt sich so ein Kinderwunsch an? Egal, ich hatte ja noch Zeit – viel Zeit.
Während meiner Ausbildung war ich jahrelang Single. Zum ersten Mal fühlte ich mich so richtig einsam und ein bisschen verloren. Gefühlt alle Freundinnen waren in einer funktionierenden Partnerschaft und hatten weniger Zeit für mich als früher. Zudem verschärfte das knappe Budget die Situation, da für Hobbys und Kaffeekränzchen oft kein Geld übrig blieb. Mein sonst schon geringes Selbstwertgefühl war im Keller.
Bei der Partnersuche legte ich Wert darauf, dass er Kinder nicht von vornherein ausschloss. Diese Türe wollte ich offen halten, zumal meine Gefühle hinsichtlich eigener Kinder ambivalent waren. Einerseits betrachtete ich die traditionelle Familie mit Kindern als die für mich ideale Lebensform. Ich hatte viele kinderfreie Arbeitskolleg*innen und stellte mir ihr Leben aufgrund ihrer Schilderungen oft furchtbar einsam und farblos vor. Andererseits wurde ich mit vielen Kindern, denen ich im Laufe der Zeit begegnete, nicht wirklich warm. Mir war jedoch auch bewusst, dass eigene Kinder eine ganz andere Liga sein würden – es wurde mir immerhin die grösste und reinste Liebe sowie die Stärke einer Löwin versprochen.
Mit bald 30 Jahren, als ich die Hoffnung schon beinahe aufgegeben hatte, kam er: Mister Right. Während in meinem Umfeld die Babys wie Pilze aus dem Boden schossen, genoss ich die gemeinsame Zeit mit meinem Partner und heutigen Ehemann. Nur seine Einstellung gegenüber eigenen Kindern bereitete mit teilweise etwas Kopfzerbrechen: «Vielleicht in ein paar Jahren.»
Nach der Corona-Zeit stand ich ohne Kinder allein da. Der Druck seitens meiner Familie erleichterte es mir nicht. Immer wieder hörte ich Sätze wie «Eure Kinder kriegen wir auch noch gross» oder wurde gefragt: «Wann strickst du eigene Babysöckchen?».
Gleichzeitig wusste ich auch, dass ich auf keinen Fall so leben wollte wie meine Mutter damals. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie zwischen Arbeit und Haushalt, der an Perfektionismus nicht zu überbieten war, jemals Zeit für ein Hobby oder Freunde hatte. Sie wirkte auf mich vielmehr dauergestresst und das ging nicht immer ganz spurlos an uns Kindern vorbei.
Trotz all den widersprüchlichen Gefühlen, war ich irgendwann verzweifelt und frustriert, als mein Partner auch nach mehreren Jahren Beziehung in der Kinderfrage unentschlossen blieb. Es fühlte sich so an, als hätte mir mein Schicksal die Entscheidung abgenommen und mich in die düstere Ecke der Kinderlosigkeit verbannt.
Resigniert wollte ich herausfinden, was ich nun mit grosser Wahrscheinlichkeit verpassen werde. Ich begann mich zu informieren, umzusehen, umzuhören. Ich las Bücher, Studien und Artikel zum Thema Elternschaft, Glück, Mutterglück, Regretting Motherhood, Geburtsschäden und deren Prävention etc. Ich schaute Dokus, sowohl über überforderte als auch über glückliche Mütter, las Bücher, viele Mamablogs und deren Leserkommentare, sprach mit Müttern in meinem Umfeld und ta-da:
Obwohl ich die rosarote Brille nun endgültig abgelegt hatte, war ein Einzelkind für mich nach wie vor eine Option, eine Art Kompromiss – one and done. Die Einstellung meines Mannes zu einem Kind war mir auf einmal gar nicht mehr so wichtig. Ich wollte mein Leben mit ihm verbringen – mit oder ohne Kind. In der Folge wurde ich spürbar entspannter und zufriedener.
Trotz aller Vorbereitung fiel es mir schwer, so richtig Freude für meine Schwangerschaft zu empfinden. Ich freute mich zwar auf den kleinen Wurm. Gleichzeitig hatte ich Angst und Panik vor dem, was auf mich zukommen würde. Mein Mann kümmerte sich rührend um uns. Das schweisste uns erst recht zusammen.
So erfuhr ich, dass Mütter, die ihr Baby nicht sechs Monate lang stillen, Rabenmütter sind, ebenso wenn ein Kaiserschnitt geplant wird, der nicht absolut notwendig ist. Mütter, die sich mehr als eine Woche vor der Geburt krankschreiben liessen, seien Sozialschmarotzerinnen. Eine Schwangerschaft sei schliesslich keine Krankheit, hiess es. Meine Portion Optimismus und Mut, die ich mitgebracht habe, war schneller aufgebraucht, als mir lieb war.
Das Schicksal nahm erneut eine Wendung: Ich erlitt eine Fehlgeburt. Was folgte, war ein Wechselbad der Gefühle: intensive Trauer und Erleichterung gleichzeitig.
Überrascht wurde ich auch von der mangelnden Empathie in unserer Gesellschaft. Es wurde von meiner Ärztin erwartet, dass ich am Tag nach der Fehlgeburt wieder zur Arbeit ging. Es hiess im Umfeld, ich soll doch froh sein, kein behindertes Kind zu haben. Ich soll dankbar sein, überhaupt eine solche Erfahrung machen zu dürfen, andere könnten nicht mal schwanger werden. Am Ende standen wir mit unserem Kummer allein da.
Nach all diesen Erfahrungen ist das Thema für uns nun endgültig vom Tisch. Wir wollten offen sein für neue Erfahrungen.
Heute geniessen wir unser Leben in vollen Zügen. Wir pflegen einen grossen Freundeskreis und viele Hobbys. Wir sind dankbar, dass wir diese Erfahrung machen durften, denn ohne die Erkenntnisse daraus, wären wir heute bestimmt nicht dort, wo wir jetzt sind.
Sonja*
*Pseudonym