Und plötzlich sind sie überall

Die Geschichte von Simona

Babybellys, Ultraschallbilder, Geburtskarten: Und ich bin mittendrin in den Gesprächen über Kindersitze, Perzentile und Dreimonats-Koliken. Ich fühle mich dabei wie auf rohen Eiern laufend, weil ich keine Kinder, ergo auch keine Ahnung von diesen Themen haben darf oder kann. Trotzdem kommentiere ich alle Videos und Fotos, die mir Eltern zeigen, brav und ehrlich gemeint mit «Jö» oder «Wow, schon so gross».

Ich glaube, ich hatte letzten Monat einen Abort. Meine Mens kam über eine Woche zu spät – was sonst nie der Fall ist – und ich hatte solche Unterleibsschmerzen wie niemals zuvor. Aber inmitten des Gesprächs, das sich um kinderfreundliche Open Airs drehte, behielt ich diese Info dann doch lieber für mich. Und wartete, bis die nächste Mens wieder ganz pünktlich einsetzte und mich daran erinnerte:

Ich bin eine Frau, deren Körper darauf konzipiert wurde, Kinder zu empfangen und auszutragen.

Ich komme noch immer nicht richtig gut klar, wenn meine Freundinnen und Freunde ankündigen, dass sie schwanger sind oder Eltern werden. Ich fühle mich dann in den nächsten Monaten immer recht unbeholfen in der Kommunikation. Ich bin nicht sicher, ob ich jedes Mal fragen soll oder darf oder muss, ob alles in Ordnung ist in der Schwangerschaft, oder ob sie sich dann nur noch reduziert auf ihren momentanen Umstand fühlen oder im Gegenteil nicht abgeholt, wenn ich mich nicht danach erkundige. 

Einerseits freue ich mich immer wahnsinnig über die Ankündigung dieser frohen Botschaft. Auf der anderen Seite wird mir dann immer wieder aufs Neue bewusst, dass sich nun vieles ändern wird in der Freundschaft – und dies, obwohl in meinem Leben alles beim alten und gewohnten bleibt.

In der Freundschafts-Prioritätenliste werde ich unweigerlich und logischerweise nach unten rutschen – zumindest für eine gewisse Zeit. Die Treffen werden rarer und weniger spontan, die Gespräche anders. 

Obwohl sich meine Freundinnen immer auch nach meinen Befinden und meinem Leben erkundigen, werde ich das Gefühl nicht los, dass alle meine Struggles oder Problemchen, meine Erfolge oder Projekte nichtiger und nicht der Rede wert sind – im Gegensatz zu ihrem momentanen Leben, indem sie gerade Eltern werden oder geworden sind.

Sogar bei Menschen, die mir weniger nahe stehen – wie kürzlich bei einer Arbeitskollegin, die das Team über ihre Schwangerschaft informierte – fühle ich mich betrogen. Ich habe heimlich eine heilige Allianz der Kinderfreien-Frauen geschmiedet, welche nun um ein weiteres Mitglied schrumpft. Bis ich letztlich noch als einziges Gruppenmitglied existiere, Ferien in Adults-only-Hotels buche, Windeleinlagen nur als Unterlage für meine Broccolisprossen-Zucht brauche, zwar kein Kinderschreien, dafür die erbarmungslose Stille lausche und voller Freizeit allein vor mich hinvegetiere, wie manch verwaiste Facebook-Gruppe. Zur gleichen Zeit ist mein gesamtes Umfeld dabei, munter jede Menge Nachwuchs zu produzieren.

Absurderweise bringt mich mittlerweile sogar Schwangerschafts-Content von gänzlich unbekannten Personen, wie beispielsweise auf Instagram, aus dem Konzept. Das ging so weit, dass ich die App löschte, weil ich mich vor den Reels mit Gender Reveal Partys oder Mama Blessings fürchtete.

Wer kinderfrei bleibt, wird unweigerlich mit den Gedanken konfrontiert, welche Pläne in Zukunft angegangen werden können. Was will ich für einen Eindruck, Abdruck hinterlassen? Was für ein Erbe? Was will ich erreicht haben, wenn ich wieder von dieser Welt abtrete? Wenn man Kinder hat, ist dies ja ziemlich offensichtlich. Eine Familie zu gründen gehört noch immer zu den gängigsten Lebensentwürfen, obwohl sich immer mehr Menschen entscheiden, freiwillig oder unfreiwillig, kinderfrei zu bleiben.

Ich habe noch nie in meinem Leben ein Baby gewickelt oder ein Kind in den Schlaf gesungen. Ich werde nie fürs Babysitten angefragt oder ob ich gerne Patentante werden möchte. Weder meine ältere Schwester noch mein noch älterer Bruder haben Kinder. Mittlerweile stelle ich mich nicht mehr ganz so ungeschickt an, wenn Freundinnen oder Freunde mit ihren Kindern zu Besuch kommen. Aber so einen richtigen Draht zu Kindern habe ich nicht. Ich bin mir auch deshalb noch immer unsicher, ob ich Kinder möchte.

Trotzdem glaube ich, wäre ich eine gute Mutter – und ein fürsorgliche und entspannte (wer würde das nicht von sich behaupten?). 

Und doch überfordert mich auch heute noch der Gedanke, Kinder in die Welt zu setzen.

Ich muss mir bei jeder Gyni-Jahreskontrolle anhören, dass es zwar auch mit Mitte dreissig noch immer gut möglich ist, spontan schwanger zu werden, aber die Wahrscheinlichkeit halt doch mit jedem Jahr kleiner wird. Dieser Umstand befeuert die immer lauter werdende biologische Uhr. Und das, obwohl ich mich eigentlich gerade erst so richtig erwachsen fühle, einen okay-en Job habe, ich einigermassen gesetzt bin und für mich selbst sorgen kann. Das auf später Verschieben ist, anders als bei fast allen anderen Zielen oder Plänen, beim Kinder kriegen nicht möglich. 

Meine Frauenärztin stellte mir Social Freezing wie ein spannendes Projekt vor, ohne die hohen Kosten und emotionalen wie körperlichen Strapazen zu erwähnen.

Vielleicht kann ich auch gar keine Kinder (mehr) kriegen? Wer weiss das schon? Was mir aber nochmals bewusst wurde, als ich im Mai dieses Jahres die 36. Kerze auf meiner Geburtstagstorte auspustete, dass meine Mom in diesem Alter schon 3 Kinder hatte, verheiratet war und in einem Haus mit Garten wohnte, wobei vor allem Zweitgenanntes nach wie vor nicht zu meinem Plan vom Leben zählt.

Weil es bekanntlich für den Akt des Kinderzeugens auch einen Mann benötigt und ich mein Leben im Moment mit einem teile, der keine Kinder möchte, wird die Sache noch verworrener. Ich rede mir dann ein, auch keine haben zu wollen oder schiebe den Gedanken ans Muttersein zur Seite. Ich möchte vermeiden, mich das zigste Mal mit meinem Partner über die Kinderfrage unterhalten zu müssen. Nur um immer wieder zum Schluss zu kommen, dass wir keine gemeinsame klare Antwort darauf haben. 

Am besten gelingt mir das Einreden, dass ich sicher keine Kinder will, wenn die Nachbarskinder von oben einmal mehr wie wild herumtrampeln, das Kind in der Badi neben mir auf der Wiese toibelet und schreit (nachdem ich ironischerweise vor fünf Minuten mein Tuch ausgebreitet und das Buch «Kinder wollen» von Barbara Bleisch zu lesen begann) oder wenn eine Freundin mir kurzfristig zum Kaffeetrinken absagen muss, weil ihr dreijähriger Sohn sich den Kopf gestossen hat und nun die ganze Wohnung vollkotzt.

Die Gründe für Kinder, wie eine Aufgabe zu haben, für jemanden zu sorgen oder seine Werte weitergeben zu können, fühlen sich dann plötzlich allesamt nicht wirklich valide genug an.

Aber welcher Grund ist DER Grund, sich für Kinder zu entscheiden? Und jene in diese Welt zu setzen, die (Achtung, Totschlagargument!) ohnehin eher früher als später verglüht, verdorrt oder überschwemmt wird.

Ohne Kinder die volle Freiheit und Zeit (zu zweit) zu haben und stattdessen ein gemeinsames Projekt fern des Elternseins zu planen, zu starten und zu wagen, fühlt sich gerade ziemlich gut an. 


Simona

ist 36 Jahre alt

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